Reinigende Funktion „Utopisch" ist ein im Alltag der Architekturproduktion nicht gerade oft verwendetes Wort. Zwischen Entwurfsfreigabe, Honorarverhandlung und Baubesprechung taucht der Begriff selten auf. Wenn doch, ist er negativ konnotiert. Utopisch ist es immer dann, wenn ein Konzept vom Standard abweicht und zu hohe Kosten verursacht. Unterschiedliche Geschosshöhen? Utopisch! Plattenfassade? Utopisch! Loftwohnungstypen? Utopisch! Dabei haben solche Vorschläge wenig mit Utopien zu tun. Ist der Architekturproduktion der Sinn für das Utopische abhandengekommen? Wurden Utopien Kompaktheit und Effizienz geopfert? Wie konnte das passieren? Wenn dem wirklich so ist, kommen harte Zeiten auf uns zu. Seit jeher haben Utopien in Gesellschaften eine notwendige Reinigungsfunktion. Sie sind das Tantra der Projektentwicklung, das Pranayama des Entwurfs und das Intervallfasten des Bauens. Einmal wild herumgezeichnet und man ist entspannt. Das Modell kreuz und quer gebaut und es geht auch im Alltag wieder leichter. Und geht die Baubeschreibung mit einem durch und wird zum Narrativ, weiß man, man hat es vorübergehend geschafft. Utopien erlauben ein kurzfristiges und fröhliches Abbiegen aus dem humorlosen Architekturgeschäft. Utopische Projekte werden oft bekannter als gebaute. Das ist schmerzhaft, ist aber auch gut so. Es gilt ja, in der Idee zur zukünftigen Stadt oder zum Land etwas weiterzubringen. Internationale Wettbewerbe wie „Fairy Tales" erfreuen sich großer Beliebtheit, haben ein gutes Renommee und werden von einer internationalen Jury beurteilt. Hier gewinnt, wer die verrückteste Architekturgeschichte erzählt und die besten Zeichnungen dazu liefert. Aber dürfen Architektinnen wirklich Märchen erzählen?
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